Na. Die Frau hat ja nicht alle...
Was habe ich schon alles gehört...
Mit dem kalten Wasser waschen - falsch... das Baby muss betüddelt(habe ich richtig geschrieben?) werden! Nestwärme ist das Wichtigste! Nur sie vermittelt Geborgenkeit!
Fleisch und Gemüse nicht aus dem Bioladen - falsch...
Milch aus dem Supermarkt - falsch...
Zu viel Bewegung - falsch... Das Kind findet schon heraus, wieviel Bewegung es braucht... also falsch... Krankengymnastik nicht zu früh... abwarten...
Wickeln ohne besondere Vorsichtsmaßnahmen - falsch, das Kind hat schwache Gelenke...
Keine Wollunterwäsche? Seidene? Nein? - was denken Sie sich?
Zu viel Förderung - falsch... wann spielt Ihr Kind überhaupt?
Sauberkeitserziehung zu früh - falsch... das Kind darf doch ein Kind sein...Es schadet nur... Viel Streß!
Spielzeug aus Plastik - wie schrecklich... Und synthetische Kleidung ja sowieso...
CDs hören - oh Gott!
Impfen lassen? - Nein, das tun Sie Ihrem Kind doch nicht an?
Paracetamol? - meine Güte, da sind ja nur die Kügelchen angesagt!
Alle wissen, wie es sein-gehen-laufen soll, und alle wissen es besser.
Eigentlich, wenn man ein behindertes Kind bekommt, ist dieses Faktum schon grundsätzlich falsch...
Das wusste schon mein Gynäkologe, der mich zwei Tage nach der Geburt ganz hart "drangenommen" hat... "was haben Sie sich dabei gedacht.....!!!!!"
Ab dann hört es mit dem "Falsch-Sein" nicht auf...
Vor drei Tagen Gespräch mit der Putzfrau in der Schule:
- Sie hatten doch ein Baby bekommen? Wie geht es dem Baby? Ich habe Sie lange nicht gesehen!
- Ja, wirklich lange. Aber ich dachte, es hätte sich herumgesprochen, das Baby kam mit Down Syndrom zur Welt...
- Ah du Scheiße!!!!!!!! Das sind diese späteren Schwangerschaften....
Na also - auch falsch...
Bei Baby Johanna wird es wohl immer so sein, dass ich mich rechfertigen werde... durchsetzen muss... erkämpfen muss... verteidigen muss... ihre bloße Existenz auf dieser Welt rechfertigen muss...
Und nun nehme ich mir vor, mit dem Buchstabenlernen anzufangen.
Nicht vergessen: ich arbeite an einer Waldorfschule...
Baby und Buchstaben - das sind Dinge, deren einzige Gemeinsamkeit "B" am Anfang sein darf... also wird wohl auch falsch sein...
Was geht mich das an, was die Anderen denken, sagen, meinen?
Es geht mich schon etwas an, immerhin bin ich ein Mensch aus der jetztigen Gesellschaft, ich bin ein Teil davon, ich bin für hier und jetzt erzogen und vorbereitet worden...
Aber wo bereitet man sich auf die Elternschaft mit einem behinderten Kind vor?
Da ich mit diesem Kind nun ziemlich auf eigene Entscheidungen angewiesen bin, muss ich auch hier, wie bei den anderen Entscheidungen bereits, denken: Mich Gehen Andere Meinungen Nicht An.
Es ist schwer, aber irgendwann habe ich es drin.
Nun, lesen lernen...
Ich bin mir überhaupt nicht sicher, dass ich damit Erfolg haben werde.
Ich habe nur wenige Erfahrungberichte und Experimente, die mir vorliegen und auf die ich zurückgreifen kann.
Ich habe keinerlei Erfahrungen aus dem sonderpädagogischen oder Grundschulbereich.
Ich habe keinem meiner Kinder das Lesen beigebracht.
Ich habe selbst ziemlich spät, in der 1.Klasse, lesen gelernt, und ich habe es vergessen, wie es war.
Ich habe eigentlich keine Ahnung, wie es geht...
So vorbildlich ausgerüstet, fange ich einfach an.
So sieht unser erstes Buch aus (rechts ist die erste Seite):

Es gibt ja einen tollen Werbungsspruch:
Hatten wir eingenlich eine Chance?
Eigentlich nicht...
Na dann...