Mittwoch, 2. Januar 2008

Mal ehrlich

Hinter den bunten Bildern sieht man öfter die Realität nicht... Oder möchte nicht sehen, da man einfach Angst hat...
Nach Johannas Geburt, Diagnose, Intensivstation, OP, wieder Intensivstation war ich endlich zu Hause...
Was soll ich da jemanden von großer Freude erzählen?
Beklommenheit und Zurückhaltung des Umfeldes,
vernichtendes Gespräch mit dem Frauenarzt,
statt Glückwünsche Sätze wie "... sei froh, dass dir nur DAS passiert ist, man kann schon längst an Krebs gestorben sein...",
die Karten wie "... zur Geburt deines Kindes kann ich dir nicht genug Trost spenden..."
Jeder, der diesen Blog aus DS-Gründen besucht, kann bestimmt noch Einiges aus eigenen Erfahrungen dazu beitragen...

Zu Hause...
Ein schwarzes Loch...
Das uns bekannte Kind mit DS und seine "Entwicklung" (da muss man doppelte und dreifache Einführungsstriche nehmen) lassen uns KEINE Hoffnung haben...
Wir haben Jahre lang miterlebt, wie die bekannten Eltern sich etwas vorgemacht haben, was nie stimmte...

Es gab auch andere Karten, freundliche naive Karten - von meinen Schülern, die das Ganze noch gar nicht begreifen... Von den Kollegen aus dem Waldorfbereich... Dies waren die einzigen positiven... Sie haben um Einiges aufgebaut...
Und dann kam immer wieder mal ein Hammer, der alles wieder platt machte...

Und nun sitze ich da, Ende Januar des "frohen neuen Jahres 2007" -
eine Behinderte(n)Mutter,
die einen Behinderte(n)Ausweis beantragt,
die ihre anderen Kinder plötzlich zu Behinderte(n)Geschwistern "gemacht" hat,
die jetzt alle in einem Behinderte(n)Haushalt leben...

Wie, wo und wann soll ich das Ganze verarbeiten?

Familienberatungsstelle... Anruf... Termin... Sie sei eine Profi... Gespräch über die Spende als Vergütung... OK... Erstes Gespräch... Kind ist ein Geschenk Gottes bla bla... zweites Gespräch... dann redet sie plötzlich Klartext... "Ich wüsste auch nicht, wenn ich ein solches Kind bekommen hätte, wie ich mit einem solchen Schicksalsschlag fertig geworden wäre..." Ach so, dann war es mit dem Gottesgeschenk doch nur bla bla... Im dritten Gespräch spreche ich sie darufhin an... Sie weiss nicht so recht, was sie mir antworten soll... wir verabschieden uns... keine weiteren Fragen ihrerseits wegen Spende...
Frühförderungsdame... ich bedauere sehr im Nachhinein die Gespräche mit ihr... Sie hat unsere Situation weiter ausgeplaudert... Ich habe von wildfremden Menschen Fragen bekommen, die mich des Nicht-Einhaltens-Der Schweigepflicht sicher machen... Die Dame MUSSTEN wir verabschieden...
Lebenshilfedame... Man, was habe ich im Gespäch alles erfahren von allen möglichen Menschen hier aus der Umgebung! Aus derem Privatleben und deren Familiensituationen und von deren innigsten Schmerzen, Ängsten, Trauer! Vom Wort Schweigepflicht hat sie schon was gehört? Nein, ich muss meine anderen Kinder schützen, ich darf an dieser Stelle keine Kontakte aufnehmen... Sonst stehen wir nach einiger Zeit genauso NACKT für die ganze Welt da - und nur deshalb, weil wir jetzt dieses behinderte Kind haben?
Selbsthilfegruppe... Alle sitzen im Kreis, keiner sieht glücklich aus, alle versuchen, stark zu sein. Respekt! ... Alle schimpfen über die Behörden, über die schlechte Schulsituation... Man muss in die Politik gehen... Ach mensch, das mache ich vielleicht mal, aber ich muss mich selbst erst aufbauen... ich liege im Moment auf dem Boden... Ich sehe keinen hellen Fleck in meiner Zukunft...
Psychologe... Anruf... Termin... Er sei ein Profi... Erstes Gespräch... Erfahrung mit DS? " Ja, also auf der Urlaubsinsel, wo wir Urlaub machen, da gibt es so einen... Der kann so rumlaufen..." Tolle Erfahrung! Der Psychologe redet nicht viel, er hört zu... und schläft während des Gesprächs so langsam ein... Es gab keine weiteren Versuche meinerseits...
Gemeinde... unser Pastor hat immer noch keine Zeit... Mut?
Kloster... sich zurückziehen... mit einem Geistlichen reden... mein Mann hat mehrere Telefonate getätigt, die von ihm angesprochenen Personen haben auch welche getätigt, es gab in keinem Kloster jemanden, der bereit war, sich mit unserem Thema zu beschäftigen...
Positive Beispiele suchen, um mein negatives Bild von der Entwicklung zu verändern... Habe ich auch versucht...

Es sieht offensichtlich viel zu schlimm um mich...

Wo soll man denn die Kraft zum Überleben überhaupt schöpfen?

Kindergarten... Suche nach den integrativen... Alleine...
Im KiGa die Aussage: "Nach dem Kindergarten gibt es kaum Integrationschancen, nur wenige Grundschulplätze... Sie werden schon sehen, die Schulbehörde macht alles, was in ihrer Macht steht, um das Kind in die Geistigbehindertenschule zu schicken, um Ihnen die anderen interessierten Familien nicht zu verraten, damit Sie sich nicht zusammentun... Sie werden schon sehen..." ...Alleine...

Und jetzt versuche ich wieder, mich aufs dünne Eis einer Beratungsstelle zu begeben...

Das, was ich jetzt von meinen letzten Versuchen beschrieben habe, ist mit vielen, viel zu vielen blauen Flecken verbunden. Die sieht und spührt man nicht, aber sie sind da...

Ich habe Angst, wieder nur mit blauen Flecken sitzen zu bleiben...

...Hinter den bunten Bildern sieht man die Realität nicht... Deshalb gibt es hier keine...

2 Kommentare:

Ulli hat gesagt…

Liebe Irina,

lass Dich mal ganz fest in den Arm nehmen. Trost kann ich Dir keinen geben, gibt es wohl auch nicht. Von keiner Seite. Du allein mußt damit fertig werden. Und ich kann Dir versichern, es wird besser, wirklich. Auch wenn Du es jetzt nicht glauben kannst. Natürlich musst Du auch an die Zukunft denken, aber Du lebst jetzt und hier. Mach Dir Gedanken erst, wenn es soweit ist. jetzt ist es an der Zeit Dein kleines Mädchen zu genießen.

LG Ulli

pikku-mansikka hat gesagt…

Liebe Irina,

mir geht es auch oft so besch...
Dann ist mein Kopf voller Fragen zur Zukunft und ich weiß dann nicht mehr ein noch aus. Ich würde mich am liebsten verkriechen.

Kathrin