08.12.2012
Wir hatten vor ca. einem Jahr den Blog offline genommen.
Ein
Jahr wurden keine Beiträge verfasst.
Nun, nach diesem einen Jahr und jetzt nach 6 Jahren, wo stehen wir heute ?
- Wir konnten es nicht vermeiden, zu behinderten Eltern zu werden. Die
Opferrolle haben wir allerdings bis heute nicht genommen, aber die immer wieder
vorkommende Erwartungshaltung eines fremden Gegenüber wirkt sich eben so aus,
dass sich die eigene Haltung auch ändert.
Wir stecken Vieles weg, wir sind weniger tolerant und
geduldig mit anderen, wir ziehen Vieles einfach durch, die planbaren Zeiten sind viel knapper, man muss sich konditionieren und immer die
Prioritätenfrage stellen. Das ist aber auch nicht weiter schlimm, letztlich
steckt mehr Lebensqualität im Tag. Im Vergleich zu den anderen Kindern ist die
Nähe von Johanna immer mit Anforderung an uns verbunden, zunehmend nehmen wir fremde Hilfe in Anspruch, um Entlastung zu haben. Hier ist wohl dann auch der
Schaden zu sehen, aber kein Vergleich mit ads/adhs. Dies allein auf Johannas
Grundverfasstheit zu schließen wäre nicht richtig.
- Johanna hat mehr Aufmerksamkeit und Sorge bekommen als alle anderen Kinder
zusammen. Im Rückblick stellen wir uns öfter die Frage, was wäre gewesen, wenn
wir in die Geschwisterkinder diese enorme Zeit und Fürsorge gesteckt hätten? Wir bedauern das, bestimmt hätte man Vieles besser machen können.
- Johanna ist kein "liebes" Kind, Johanna ist eher „normal“: Johanna wird nun
schon 6 Jahre gefordert und gefördert. Alles, was uns sinnvoll erscheint, wird
gemacht. Trägheit wird nicht lange geduldet, Johanna kommt mit Bequemlichkeit
nicht durch. Die Konsequenz ist wohl, dass sie nicht dem Standardvorurteil des
"Liebkindseins" entspricht. Sie bestimmt auch gern und gibt den Takt an….leider
ist sie dann aber auch öfter allein und bestimmt nur noch über sich selbst J
- Dass Johanna im Vergleich immer weiter verlieren wird…diesem Problem müssen
wir uns noch stellen und hinnehmen lernen. Noch bis heute weichen wir aus und
thematisieren das nicht scharf. Bis zu den allgemein messbaren Ergebnissen in
der 2. Klasse werden wir uns wohl noch etwas in die Tasche lügen oder etwas
mehr Gnade gelernt haben.
- (für religiöse Leser): Wenn ich meiner Tochter heute tief in die Augen
schaue, dann ist es nicht mehr so wie im ersten Jahr. Es stimmt schon
noch, dass man die Seele nicht so gut sieht, aber Johanna ist mehr mit sich
zusammengewachsen, die Leib-Seele-Einheit ist gebildet worden. Ich würde nur
noch sagen, dass der Grad des Wachseins, die Präsents, nicht so hoch ist, aber
einen Schleier bzw. das Gebrochensein des Wesens kann ich nicht (mehr)
erkennen.
-Unser Leben lohnt sich auch/besonders mit Johanna, wie mit jedem anderen Kind
auch. Hier gibt es keine Unterschiede. Wir selbst sind wacher geworden. Wir
gehen unseren Lebensweg nicht mehr in der Mitte, sondern am Rand, weil wir anders
sind/geworden sind (…eigentlich wie jede andere Familie auch, wir wissen nur besser darum
dank Johanna) . Wir stellen Vieles grundsätzlich in Frage und daraus ist
Kreativität erwachsen. In unserem Fall bin ich heute froh, damals nicht vor die
Abtreibungsfrage gestellt worden zu sein. Ich wäre überfordert gewesen.
Vermutlich hätte ich kategorisch aufgrund der religiösen Grunderziehung Ja zu
Johanna gesagt, aber ich hätte meine Antwort selbst nicht verstanden. Heute
glaube ich eher, dass sich Leben ereignet und man sollte das zulassen,
hinhorchen und die vorgegebene Musik mitspielen, dann kommt man in den Genuss
eines guten Konzertes. Eines ist aber ganz klar: Wenn ich heute meine
Tochter anschaue, dann habe ich rückwärts gerichtet nie die Wahl oder das
moralische Recht zur todbringenden Entscheidung gehabt.
1 Kommentar:
einen berührten dank für diese offenen, ehrlichen worte.
christina
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