Donnerstag, 13. Dezember 2012

Johannas Papa meldet sich zu Wort...



08.12.2012


Wir hatten vor ca. einem Jahr den Blog offline genommen. 
Ein Jahr wurden keine Beiträge verfasst. 
Nun, nach diesem einen Jahr und jetzt nach 6 Jahren, wo stehen wir heute ?
 
- Wir konnten es nicht vermeiden, zu behinderten Eltern zu werden. Die Opferrolle haben wir allerdings bis heute nicht genommen, aber die immer wieder vorkommende Erwartungshaltung eines fremden Gegenüber wirkt sich eben so aus, dass sich die eigene Haltung auch ändert. 

Wir stecken Vieles weg, wir sind weniger tolerant und geduldig mit anderen, wir ziehen Vieles einfach durch, die planbaren Zeiten sind  viel knapper, man muss sich konditionieren und immer die Prioritätenfrage stellen. Das ist aber auch nicht weiter schlimm, letztlich steckt mehr Lebensqualität im Tag. Im Vergleich zu den anderen Kindern ist die Nähe von Johanna immer mit Anforderung an uns verbunden, zunehmend nehmen wir fremde Hilfe in Anspruch, um Entlastung zu haben. Hier ist wohl dann auch der Schaden zu sehen, aber kein Vergleich mit ads/adhs. Dies allein auf Johannas Grundverfasstheit zu schließen wäre nicht richtig.
 
- Johanna hat mehr Aufmerksamkeit und Sorge bekommen als alle anderen Kinder zusammen. Im Rückblick stellen wir uns öfter die Frage, was wäre gewesen, wenn wir in die Geschwisterkinder diese enorme Zeit und Fürsorge gesteckt hätten?  Wir bedauern das, bestimmt hätte man Vieles besser machen können.
 
- Johanna ist kein "liebes" Kind, Johanna ist eher „normal“: Johanna wird nun schon 6 Jahre gefordert und gefördert. Alles, was uns sinnvoll erscheint, wird gemacht. Trägheit wird nicht lange geduldet, Johanna kommt mit Bequemlichkeit nicht durch. Die Konsequenz ist wohl, dass sie nicht dem Standardvorurteil des "Liebkindseins" entspricht. Sie bestimmt auch gern und gibt den Takt an….leider ist sie dann aber auch öfter allein und bestimmt nur noch über sich selbst J
 
- Dass Johanna im Vergleich immer weiter verlieren wird…diesem Problem müssen wir uns noch stellen und hinnehmen lernen. Noch bis heute weichen wir aus und thematisieren das nicht scharf. Bis zu den allgemein messbaren Ergebnissen in der 2. Klasse werden wir uns wohl noch etwas in die Tasche lügen oder etwas mehr Gnade gelernt haben.
 
- (für religiöse Leser): Wenn ich meiner Tochter heute tief in die Augen schaue, dann ist  es nicht mehr so wie im ersten Jahr. Es stimmt schon noch, dass man die Seele nicht so gut sieht, aber Johanna ist mehr mit sich zusammengewachsen, die Leib-Seele-Einheit ist gebildet worden. Ich würde nur noch sagen, dass der Grad des Wachseins, die Präsents, nicht so hoch ist, aber einen Schleier bzw.  das Gebrochensein des Wesens kann ich nicht (mehr) erkennen.
 
-Unser Leben lohnt sich auch/besonders mit Johanna, wie mit jedem anderen Kind auch. Hier gibt es keine Unterschiede. Wir selbst sind wacher geworden. Wir gehen unseren Lebensweg nicht mehr in der Mitte, sondern am Rand, weil wir anders sind/geworden sind (…eigentlich wie jede andere Familie auch, wir wissen nur besser darum dank Johanna) . Wir stellen Vieles grundsätzlich in Frage und daraus ist Kreativität erwachsen. In unserem Fall bin ich heute froh, damals nicht vor die Abtreibungsfrage gestellt worden zu sein. Ich wäre überfordert gewesen. Vermutlich hätte ich kategorisch aufgrund der religiösen Grunderziehung Ja zu Johanna gesagt, aber ich hätte meine Antwort selbst nicht verstanden. Heute glaube ich eher, dass sich Leben ereignet und man sollte das zulassen, hinhorchen und die vorgegebene Musik mitspielen, dann kommt man in den Genuss eines guten Konzertes.  Eines ist aber ganz klar: Wenn ich heute meine Tochter anschaue, dann habe ich rückwärts gerichtet nie die Wahl oder das moralische Recht zur todbringenden Entscheidung gehabt.   

1 Kommentar:

amber hat gesagt…

einen berührten dank für diese offenen, ehrlichen worte.

christina